Wir retten Europa

Eine fantastische Erzählung aus dem Abendland

(Ausschnitt)

Das Hotel teilt uns mit, dass die Berliner soeben aufgebrochen sind. Wir schauen ins Land hinein. Der Anblick der Heimat lässt unsere Herzen höher schlagen. Inmitten des Flickenteppichs aus Feldern, Wäldern und Wiesen, die ein wenig mitgenommen sind von der Hitze, ragen Kirchtürme auf. Hierzulande weiß man, wo Gott wohnt. Keine Minarette und Muezzin-Rufe. Und so soll das auch bleiben.
Wir werden den Berlinern demonstrieren, wie gut EMiL funktioniert. Bisher waren sie nicht interessiert. Jetzt, wo jeden Tag Asylunterkünfte brennen, und Tausende auf die Straße gehen, kommen sie gelaufen. Natürlich geben sie nicht zu, dass sie bei uns Hilfe suchen. Sie behaupten, das Leit­system sei menschenunwürdig. Es verletze das Asylrecht. Wir wissen, der Neid ist ein Hund. Aber das kümmert uns nicht, denn wir tun das Richtige.
 
Die Regierungsdelegation trifft mit zwanzigminütiger Verspätung ein. Auch sie schwitzen in ihren Anzügen. Nur die Damen haben es kühler. Gleichzeitig mit ihnen kommt eine Seniorengruppe am Aussichtspunkt an. Die alten Leutchen sind zu Fuß herauf gestiegen. Sie umkreisen uns wie Wespen ihr Nest. Wir stehen ihnen im Weg. „Von hier drüben sieht man es auch“, sagt ein Mann, der ein zünftiges rot-weiß kariertes Hemd trägt. Der Schwarm versammelt sich in einer Mulde rechts von uns. Einige haben Ferngläser dabei, die sie auf das Gewerbegebiet unter uns richten. „Ist er schon da?“, fragt jemand. „Hoffentlich kriegt er nicht wieder nur Iraker.“
Wir hätten den Aussichtspunkt ja für die Allgemeinheit gesperrt, doch die Leute aus Berlin wollten kein Aufsehen erregen. Jetzt haben wir den Salat. Wir führen sie zu Bommer, der immer noch mit seinem Joystick spielt. „Hi!“, ruft er, den Blick nicht von der Konsole lösend. Sicher musste seine Mutter ihn als Kind ständig ermahnen, den Gameboy aus der Hand zu legen.
Die Berliner haben Leute aus Brüssel mitgebracht. Man stellt uns die Re­präsentanten Polens, Ungarns, Tschechiens, der Slowakei und Österreichs vor. Das kann uns nur Recht sein. Dann müssen wir es nicht zweimal sagen: Wir retten Europa! Wir schütteln ihre feuchten Pfoten.

 

      Leben verARBEITET. Ausgewählte Texte zum AK-Literaturpreis 2017
      Hrsg.: Kammer für Arbeiter und Angestellte für Oberösterreich
      ÖGB-Verlag, ISBN 978-3-99046-303-1
 
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